Gießmannsdorfer Newsletter Extra, Erfahrung

                                Gießmannsdorfer Newsletter Extra: Erfahrungsbericht aus Norditalien

„Welt-online“, Panorama

Coronavirus in Norditalien

„Sie spüren, wenn sie sterben. Es ist wie ertrinken. Nur langsamer“

Stand: 13.03.2020, 13:42 Uhr | Lesedauer: 4 Minuten

Italienische Ärzte berichten von dramatischen Zuständen in den Kliniken. Menschen stürben infolge von Coronavirus-Infektionen einsam und bei vollem Bewusstsein, in den Krankenhäusern fehlten Beatmungsgeräte und Plätze.

Kein Land in Europa ist so stark von der Coronavirus-Epidemie betroffen wie Italien. Mehr als 17.000 Menschen sind dort infiziert, mindestens 1200 bereits an den Folgen gestorben - und die Krankenhäuser sind völlig überlastet.

Italienische Medien berichten von dramatischen Zuständen in den Kliniken der Krisengebiete. Menschen würden elendig und einsam an den Folgen der Infektion sterben, die Ärzte kämen mit der Behandlung nicht hinterher. Die Zeitung „Il Giornale“ zitiert die Chefin der Notaufnahme des Krankenhauses San Carlo Borromeo in der Nähe von Mailand, Francesca Cortellaro: „Covid-19-Patienten kommen allein, weil keine Verwandten sie begleiten dürfen. Wenn sie sterben, dann spüren sie es, sie sind dabei ganz klar. Es ist, als würden sie ertrinken. Nur langsamer. So, dass sie alles mitbekommen.“

Sie führe eine lange Liste von Menschen, die sich per Videochat von ihren Angehörigen verabschieden wollen. Diese nennt sie „Abschiedsliste“. Für das letzte Gespräch gebe sie den Patienten ihr eigenes Handy. „Ich hoffe, dass wir Mini-iPads bekommen, wenigstens drei oder vier, damit die Menschen nicht allein sterben müssen“, zitiert die Zeitung die Ärztin.

Die Klinik versuche, neue Räume herzurichten und zusätzliche Betten für die Erkrankten bereitzustellen. Die Umfunktionierung von Krankenplätzen, die eigentlich für Herzkranke ausgerichtet seien, dauere eigentlich Monate, aber die Klinik habe dies in fünf Tagen geschafft. Doch auch diese zwölf weiteren Plätze seien nicht genug. Das Krankenhaus bei Mailand führe einen „Wettlauf gegen die Zeit“, schreibt „Il Giornale“.

Drastisch ist der Appell des Assistenzarztes Daniele Macchini. Er arbeitet im Krankenhaus Humanitas Gavazzeni im norditalienischen Bergamo. In einem Facebook-Beitrag vom 6. März, der bis Samstagvormittag rund 42.000 Mal geteilt wurde, beschreibt er seine Eindrücke von der Pandemie. Macchini, der selbst Allgemeinchirurg ist, schreibt von einem „Krieg“, der buchstäblich explodiert sei. Alle Ärzte, ob Chirurgen, Urologen oder Orthopäden, seien jetzt „Teil eines einzigen Teams“ im Kampf gegen den „Tsnuami“, heißt es weiter.

Er schreibt: „Tag und Nacht toben ununterbrochen Schlachten. … Die Kranken kommen nacheinander in die Notaufnahme. Sie lagen eine Woche oder zehn Tage mit Fieber zu Hause und sind nicht rausgegangen, um andere nicht anzustecken. Aber jetzt können sie nicht mehr, sie bekommen keine Luft mehr. … Es ist immer dieselbe Diagnose. Beidseitige Lungenentzündung.“

Auch treffe es nicht nur die ältere Bevölkerungsgruppe, sondern auch junge Menschen, die auf der Intensivstation lägen und intubiert würden oder an Maschinen angeschlossen seien, die das Blut mit Sauerstoff versorgen. „Wenn man das sieht, ist die Ruhe vorbei, dass man selbst noch jung ist“, schreibt Macchini.

Derweil berichten Krankenhäuser auch in Deutschland von Engpässen bei Beatmungsgeräten, die dringend notwendig für die Behandlung der Corona-Patienten sind. Alleine Deutschland und Italien wollten zusammen 15.000 der lebenswichtigen Produkte beziehen.

 „Es besteht eine riesige Diskrepanz zwischen den verfügbaren Beatmungsgeräten und dem Bedarf“, sagte Andreas Wieland, Bereichsleiter des US-Unternehmens Hamilton. Dies zeige sich bereits in Italien, dürfte aber auch auf andere Ländern zukommen. „Leute, die eigentlich auf die Notfallstationen müssen, können gar nicht mehr betreut werden.“

Experten gehen zurzeit davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der registrierten Fälle schwer verlaufen, sodass die Infizierten an Beatmungsgeräte angeschlossen werden müssen. Deutschland hat bei einem Lübecker Medizintechnikkonzern 10.000 Beatmungsgeräte bestellt. Die wöchentliche Produktion bestimmter Beatmungsgeräte habe die Firma zuletzt deutlich gesteigert, erklärte eine Sprecherin. Bei einem Gerätetyp, der bei Corona-Patienten häufig eingesetzt werde, betrage das Plus mehr als 50 Prozent. Angesichts des weltweiten Bedarfs werden nun Sorgen laut, dass Regierungen für solche Geräte Exportrestriktionen festlegen könnten.

„Ärzte müssen wie im Krieg entscheiden“

„Die Gesundheitssysteme sind nicht für Extremfälle wie Pandemien ausgelegt“, erklärt Stefan Blum, Medtech-Experte bei Bellevue Asset Management. In stark betroffenen Gegenden fehle es jetzt an allem: an qualifiziertem Personal, an Geräten, an Verbrauchsmaterial. „In Italien mussten die Ärzte offenbar eine Triage machen wie in einem Krieg und entscheiden, wer an die möglicherweise lebensrettenden Maschinen angehängt wird und wer nicht.“

Maria Rita Gismondo, Virologin und Abteilungsleiterin im Mailänder Sacco-Krankenhaus, mahnte vor wenigen Tagen jedoch zur Vorsicht. „Wir sind nicht im Krieg hier in der Lombardei“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Die Lage sei ernst, sie werde sich auch nicht in kurzer Zeit entschärfen. Sie erwarte eine Besserung eher in Monaten, nicht in Wochen. „Aber es gibt auch positive Signale“, erläuterte sie. So seien die Neuansteckungen im ersten Virus-Herd Codogno inzwischen gestoppt – und zwar mithilfe von strikten Sperrungen und Ausgehverboten.

 

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